Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Redner auf einer Konferenz, eine Zeitungsredakteurin oder eine Unternehmensberatung verkündet, dass für die Banken das „Ende nahe ist“ und sie bald durch N26, Revolut und Co. verdrängt werden. Und tatsächlich haben diese sogenannten Neo-Banken beachtliche Erfolgsmeldungen vorzuweisen – ganz im Gegensatz zu den Gegenentwürfen der traditionellen Banken. Beispielhaft: die deutschen Sparkassen und ihr seit drei (!) Jahren in der Entwicklung feststeckendes Smartphone Konto Yomo. Doch wie valide sind die Jubelarien?
Dazu vier provokante Thesen:
1. Neo-Banken sind nicht innovativ
Nüchtern betrachtet erfinden die Neo-Banken nicht das Banking von morgen. Dass eine schnelle Kontoeröffnung, eine gute User Experience und vergleichsweise kleine Dinge wie Real-Time-Push-Nachrichten sowie Kontostandsprognosen von Kunden als innovativ wahrgenommen werden, liegt einzig an dem tradierten Angebot der Banken, die immer noch in der Welt von 1990 festzustecken scheinen.
2. Neo-Banken wachsen nicht rasant
N26, Revolut & Co. setzen auf schnellst mögliche regionale Expansion. So akquiriert N26 mittlerweile in 27 Ländern in Europa. 2019 erfolgen noch die Schritte in die USA, nach Brasilien und in die Schweiz. Dann adressiert die Neo-Bank ca. 880 Millionen potentielle Kunden – und peilt bis 2020 an, sechs Millionen davon als Kunden zu gewinnen. Ein guter Wert, aber nicht die viel gepriesene rasante Markteroberung im Sturm. Wie man hört, hinken viele Neo-Banken den in Investorenpräsentationen aufgezeigten Zahlen hinterher…
3. Kunden sind nicht attraktiv
Die mit Gratisangeboten geköderten Kunden sind vor allem (junge) Early Adopter. Es erscheint zweifelhaft, ob diese wie erhofft schnell und erfolgreich als Markenbotschafter agieren können. Denn die breite Masse der Bankkunden ist äußerst loyal – um nicht zu sagen träge. Erschwerend kommt hinzu, dass selbst die Vorreiter die neue, coole Bankbeziehung meist nur als Zweit- oder Drittkonto nutzen. Attraktive Kunden, die die Neo-Bank als Hauptbank ansehen und zahlreiche Produkte abschließen, sind somit noch Mangelware.
4. Neo-Banken sind zu lax
Die Zögerlichkeit der Bankkunden hängt auch an einer Skepsis gegenüber den Newcomern. Diese betonen daher ihren Status als Bank, um Vertrauen zu gewinnen. Doch die von Banken geforderte IT-Sicherheit und Regulatorik empfinden sie oft als hinderlich und lästig. Aus dieser laxen Einstellung resultierende Shitstorms (siehe aktuell N26), werden immer wieder die Reputation aller Neo-Banken runterziehen.
Banken müssen trotzdem reagieren!
Viele Hurra-Meldungen rund um die Neo-Banken sind also mit Vorsicht zu genießen bzw. realistischer einzuordnen. Auch ist nicht jede Herangehensweise das Nonplusultra. Aber das kann ja noch werden. So lange die ergiebigen Finanzierungsquellen nicht versiegen, haben die Herausforderer die Möglichkeit, das Angebot weiterzuentwickeln, bei der Kundengewinnung zu lernen und das Geschäftsmodell zu optimieren (bzw. überhaupt zu entwickeln).
Ein „Weiter so“ darf für die Banken somit keine Option sein! Zum einen weil die Herausforderer am Ende doch eine ernsthafte Bedrohung werden könnten. Und zum anderen – vor allem –, weil sich die Erwartungshaltung der Kunden dramatisch geändert hat. Die Banken müssen daher zunächst das Pricing wieder attraktiv gestalten und schnell technologisch zu den Neo-Banken aufschließen. Dann gilt es, sich von diesen zu differenzieren: durch in den Kundenalltag integrierte Lösungen und innovative Pakete „beyond banking“, statt der aktuell sehr simplen Bundles mit Konto und Karte.
Einige Banken versuchen als Reaktion zumindest ein Stück weit selbst zur Neo-Bank zu werden und das Beste aus traditionellem und digitalem Banking zu vereinen. Zweifel sind angebracht, ob sich so die notwendige Schnelligkeit, Wendigkeit, Effizienz und Agilität erreichen lassen. Die Institute sollten daher besser autonome Digitalbanken gründen. Mit eigener Brand und frei von Legacy-Altlasten sowie internen Grabenkämpfen. Goldman Sachs (Marcus), Leumi (Pepper) und BBVA (simple) machen es bereits erfolgreich vor, um nur einige Beispiele zu nennen.
Dass dieser Erfolg sich jedoch nicht automatisch einstellt, zeigt die Digitalbank Finn, die von Chase nach einem Jahr wieder gestoppt wurde. Kunden wollen auch von Digitalbanken neue Lösungen und konkrete Vorteile. Nur digital zu sein ist – wie bei den Neo-Banken auch – auf Dauer zu wenig. Den meisten Gründern und Investoren der Neo-Banken dürfte diese Erkenntnis vermutlich egal sein. Denn noch klingt ihre Story plausibel und weckt ausreichend Phantasie für das eigentliche Ziel: einen lukrativen Exit! Es sei ihnen gegönnt.
Autor
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Friedrich-W. Kersting befasst sich seit 2012 mit dem Thema Fintech, zunächst theoretisch als Professor an einer privaten Hochschule, dann operativ bei einem Banken-Start-up und aktuell bei einer Schweizer Großbank. Zuvor war der an der Hochschule St. Gallen promovierte Kersting zehn Jahre im Private Banking in Deutschland und der Schweiz tätig.