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Zwischen Old Economy und Insurtech-Zukunft

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  • Moritz Finkelnburg

    Der gebürtige Berliner studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Berlin, Heidelberg und Barcelona, bevor er im Staatsrecht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg promovierte. In den letzten Jahren war er in verschiedenen Management- und Vorstandspositionen mit den Schwerpunkten Vertrieb, Komposit und Digital tätig. Von 2016 bis 2019 baute Dr. Finkelnburg an der Frankfurter Goethe Business School als Akademischer Direktor den Bereich Versicherungen mit Schwerpunkt Digitalisierung auf. Seit 2019 ist er Mitglied des Vorstandes der BGV-Versicherung AG.

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Und jetzt ihr:

Kennt ihr bereits Deutschlands größte und vielseitigste Fintech-Veranstaltung? Die Fintech Week veranstalten wir das nächste Mal vom 26.–30. September 2022.

Digital? Machen wir doch längst..! Diese verblüffende Aussage hört man von nahezu jedem Versicherer. Gleiches gilt für die zahlreichen Dienstleister, die an der langen Nahrungskette der Assekuranz hängen. Kein Berater, der nicht immer schon digital unterwegs gewesen ist. Der immer schon wusste, dass diese „große Herausforderung“ auf uns alle wartet und der – zum Glück – einen umfassenden Lösungsansatz parat hat.

In den wöchentlichen Branchennews findet man erstaunt Hunderte von Artikeln, Angeboten und Seminaren: „Alles, was Sie schon immer über Digitalisierung wissen wollten!“ scheint die allen gemeinsame Überschrift zu sein. Die Anbieter sind vielseitig. Die Qualität vermutlich auch. Aber wenn man alle Veranstaltungen besucht und Publikationen gelesen hat, weiß man vermutlich immer noch nicht, wie man mit dem Thema Digitalisierung umgehen soll. Ist auch nicht nötig, mag man meinen. Schließlich wissen die Versicherer ja, was zu tun ist.

Ein Blick auf die hard facts allerdings zeigt: Dem ist mitnichten so! Ernsthafte digitale Aktivitäten lassen sich nur bei wenigen Erstversicherern feststellen. In erster Linie sind dies Allianz, Ergo, Axa und vielleicht noch Zurich. In der zweiten Reihe gibt es noch die Baloise, Helvetia oder Barmenia, die erkennbar aktiv sind. Was ist mit den anderen? Zwar findet man überall ein Innovation Lab und einen Digital Officer. Doch wer hinter die Kulissen späht, entdeckt oft gähnende Leere. Es ist natürlich vorstellbar, dass der Rest der etwa 500 deutschen Versicherer bewusst in die Beobachterrolle schlüpft und die Dinge auf sich zukommen lässt. Aber ist das klug?

Die Herausforderungen der Digitalisierung

Dabei haben die beiden Gruppierungen, die das digitale Marktgeschehen der Versicherungsbranche bestimmen, ganz unterschiedliche Herausforderungen zu bewältigen:

Die Insurtechs müssen sich am Markt behaupten, seien es die Broker wie Wefox, Clark, friendsurance und Haftpflichthelden oder angehende Versicherer wie Friday, Nexible, ottonova, Flypper und One. Hohe Kundenakquisitionskosten belasten die Budgets stark und spielen entsprechend bei Gesprächen mit Investoren eine zunehmend dominante Rolle. Erst bei hoher und langfristiger Kundenbindung amortisieren sich diese Investitionen und gestalten die Kundenbeziehung aus Sicht des Insurtech-Unternehmens profitabel.

finletter-Autor Moritz Finkelnburg schreibt über Insurtech
finletter-Autor Moritz Finkelnburg schreibt über Insurtech

Ist der digitale Kunde bereit, sich so langfristig zu binden, dass dies eintrifft? Oder wird er durch das überbordende digitale Angebot eher jedes Jahr zu neuen Ufern, sprich konkurrierenden Versicherern, gelockt? Ist der Big-Data-basierte Kokon um den neuen Kunden so dicht, dass es kein Entkommen gibt? Und gibt es bereits Modelle, die so innovativ sind, dass der Kunde allein deshalb bleibt? Ich bin da im Moment eher skeptisch.

So schön die Insurtech-App mit digitalem Versicherungsordner zu Beginn war: Heute hat dies fast jeder Anbieter. Auch die Schadenregulierung durch Foto – soweit sich diese Idee überhaupt als praktikabel erweist – ist kopierbar geworden und hat den Zauber des ersten Momentes verloren. Immer mehr Insurtechs kooperieren mit Versicherern. Wo bleibt dabei die für disruptive Prozesse notwendige Unabhängigkeit? Sind die neuen Risikoträger in der Lage, langfristig Kunden anzuziehen und zu binden? Insbesondere in Ermangelung eindeutiger Zielgruppenkonzepte? Wünschenswert, aber fraglich.

Für die Versicherer der Old Economy sehen die Herausforderungen etwas anders aus: Sie müssen sich – neben der Frage ihrer Innovationsfreude – intensiv damit beschäftigen, wie sie die Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse überhaupt erreichen können. Wer heute meint, dieser Trend werde wie so viele andere wieder vorüberziehen, verkennt die Situation. Die internetbedingte Vernetzung unserer Welt ist vermutlich unumkehrbar. Damit nimmt der Druck jeden Tag zu. Wer sich der Digitalisierung seiner Prozesse verschließt, wird in Zukunft zu langsam, zu fehleranfällig und zu teuer sein und damit zwangsläufig seine Marktposition verlieren.

Und wer profitiert?

Es bleibt die Frage, wer die Insurtech-Unternehmen und die Old Economy bei ihren so unterschiedlichen Problemstellungen unterstützen kann. Vielleicht ahnen Sie es schon und denken vergnügt an den Beginn dieses Textes und die Hunderten freudig auf ihre Opfer wartenden digitalen Dienstleister zurück…

Autor

  • Moritz Finkelnburg

    Der gebürtige Berliner studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Berlin, Heidelberg und Barcelona, bevor er im Staatsrecht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg promovierte. In den letzten Jahren war er in verschiedenen Management- und Vorstandspositionen mit den Schwerpunkten Vertrieb, Komposit und Digital tätig. Von 2016 bis 2019 baute Dr. Finkelnburg an der Frankfurter Goethe Business School als Akademischer Direktor den Bereich Versicherungen mit Schwerpunkt Digitalisierung auf. Seit 2019 ist er Mitglied des Vorstandes der BGV-Versicherung AG.