Ein Gastbeitrag von Viktor Becher, Co-Founder von Getsurance
Blockchain-Anwendungen werden einen großen Teil der Versicherungsindustrie überflüssig machen. Ich rechne damit, dass sich die Arbeitsplätze in der Branche durch die Technologie in den nächsten 20 Jahren halbieren werden. Denn die Blockchain ist mehr als einfach nur eine tolle neuartige Datenbank, wie es manche verkaufen, die sie offenbar nicht verstehen. Ihre Killer-Features: Die Blockchain läuft über Tausende von Rechnern verteilt. Und es ist mathematisch beweisbar (zu 100 Prozent sicher), wer wann was abgespeichert hat.
Damit löst die Blockchain eines der ältesten Probleme der Menschheit: Wie kann ich jemandem, dem ich Geld gebe, vertrauen, dass ich dafür eine Leistung bekomme? Versicherungen nutzen wir doch vor allem deswegen, weil wir Zahlungswillen und –fähigkeit unserer Freunde eben nicht genug vertrauen, um uns einfach gegenseitig zu versichern. Wir müssten ein komplexes Vertragswerk erstellen, ein Treuhandkonto einrichten usw. Die Blockchain ist Vertragswerk und Treuhandkonto in einem. Die Blockchain macht damit vertrauenswürdige Mittelsmänner wie Banken und Versicherungen überflüssig.
Illusionen in der Versicherungsbranche
Man braucht nur eins und eins zusammenzuzählen, um die Zukunft zu erahnen. Dennoch will zum Beispiel die Unternehmensberatung EY Versicherern weismachen, die Blockchain würde ihnen vor allem Chancen bieten. Von den angepriesenen „four cornerstones of opportunity“ sind allerdings drei vollkommen illusionär:
● „Fraud detection and risk prevention“: Das können klassische Datenbanken genauso gut. Deren Einführung ist bislang daran gescheitert, dass Versicherer bis heute mit Papierdokumenten herumhantieren.
● „Digital claims management“: Schadensmeldungen mit der Smartphone-Kamera sind eine feine Sache. Nur braucht man dafür nicht die Blockchain.
● „New distribution and disruption“: EY führt hier ein Sammelsurium von Anwendungen auf, die größtenteils auch mit traditionellen Datenbanken realisierbar sind.
Einzig das Versprechen von „Cyber liability“ bietet tatsächlich eine interessante Möglichkeit für neue Produkte. Denn durch die Blockchain entstehen mehr Cyberrisiken. Dies ist eine echte Chance für Versicherungsunternehmen, die den erforderlichen Digitalisierungsgrad mitbringen und sich jetzt richtig aufstellen.
Die Blockchain ersetzt Versicherungen
Es gibt bereits mehrere Start-ups, die an P2P-Versicherungen auf Blockchain-Basis arbeiten, zum Beispiel Teambrella in Sankt Petersburg und Etherisc in München. Etherisc hat einen Testlauf mit einer echten Versicherung gegen Flugverspätungen durchgeführt. Teilnehmer der Konferenz „devcon two“ in Shanghai konnten auf einer Webseite ihre Flugnummer angeben und eine Versicherungsprämie mit der Kryptowährung Ether zahlen. Die Blockchain-Applikation prüfte automatisch per API, ob Flüge verspätet waren und zahlte dann ebenso automatisch die Versicherungssumme in Ether aus. Teilnehmer des Testlaufs konnten sich selbst davon überzeugen, dass die Versicherung vertrauenswürdig war, denn der Blockchain-Vertrag war offen einsehbar. Garantierte Zuverlässigkeit ohne Versicherungsunternehmen und Bafin – bei einem Bruchteil der Kosten.
Auch komplexere Versicherungen wie Hausrat und Haftpflicht sind möglich: Teilnehmer einer Blockchain-Versicherung können demokratisch Gutachter ernennen, die mit einem Prozentsatz der Prämien vergütet werden. Prämien werden auf Blockchain-Treuhandkonten überwiesen – ein Konto pro Teilnehmer. In der Blockchain dauert die Kontoeröffnung ja nur eine Millisekunde. Wird ein Leistungsantrag bewilligt, wird von jedem Treuhandkonto ein Prozentsatz abgezogen, um den Schaden zu regulieren.
Es ist unmöglich, von einem Treuhandkonto Geld abzubuchen, ohne dass ein entsprechender Leistungsfall vorliegt. Das wird durch einen Blockchain-Vertrag mathematisch beweisbar sichergestellt. Daraus ergibt sich eine einzigartig hohe Transparenz und Sicherheit für alle Versicherten, die ein Unternehmen nie bieten könnte. Die Blockchain bringt also den ursprünglichen Versicherungsgedanken der Gegenseitigkeit wieder zurück: Es gibt nur noch die Solidargemeinschaft der Versicherten.
Was Versicherer jetzt tun sollten
Versicherungsunternehmen, die nicht durch Blockchain-Start-ups ersetzt werden wollen, müssen sich jetzt ändern. Ich sehe zwei Möglichkeiten:
- Sie können selbst zum Vordenker und Kompetenz-Zentrum in Sachen Blockchain werden. Weg vom schwerfälligen Verwaltungsriesen hin zum agilen Softwareunternehmen. Akquisitionen relevanter Blockchain-Start-ups können ein Weg sein, die eigene Digitalisierung zu beschleunigen.
- Oder sie konzentrieren sich auf Geschäftsfelder, die nicht durch Blockchain-Modelle bedroht sind. Zum Beispiel erfordern biometrische Risiken viel Fachkompetenz, die es bei Versicherern zu kultivieren gilt. Auch hier müssen jedoch digitale Lösungen entwickelt werden.
Digitalisierung in der Versicherungsbranche – es gibt kein Zurück mehr
Ich höre schon den Unkenruf „Das werden die Regulierungsbehörden niemals erlauben!“. Was für ein schwaches Argument für den Status Quo. Die gleichen Einwände wurden laut, als das Automobil sich anschickte, die Pferdekutsche zu ersetzen. Den Bitcoin-Nutzern der ersten Stunde war es egal, ob ihre Transaktionen legal waren. Die liegen ja sowieso anonymisiert und verschlüsselt in der Blockchain-Cloud, undurchsichtig für Behörden.
Ebenso wird es den ersten Nutzern von P2P-Versicherungen egal sein, ob die Bafin dem neuen Modell ihren Segen gibt. Sobald eine kritische Masse von Nutzern erreicht ist, wird die Politik den Tatsachen ins Auge sehen müssen und die Gesetze entsprechend ändern.
Lesen Sie noch mehr über die Risiken und Nebenwirkungen der Blockchain für verschiedene Branchen in der finletter-Kolumne von Blockchain-Kenner Boris Janek.
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Auf finletter kommen gelegentlich Gastautor:innen zu Wort.