Der digitale Trend in der Versicherungswelt hält nicht nur weiter an, er hat im Jahr 2017 sogar einen gehörigen Sprung nach vorne gemacht, ja: den Turbo eingelegt! Dies gilt für die Standortfrage ebenso wie für die neu den Markt erobernden digitalen Versicherer und Enabler. Last but not least sicherlich auch für die digitalen Aktivitäten der Old-Economy-Versicherer. Ob dabei wirklich die Disruption erkennbar ist, die jeder verzweifelt erhofft und erwartet, würde ich zwar bezweifeln. Aber Ansätze, die hierzu führen könnten, sind spürbar.
Die Standortfrage hat dabei eine verblüffende Dynamik entwickelt. Berlin ist dabei nach wie vor die deutsche Insurtech-Metropole Nummer eins: Namen wie Wefox, Friday, Coya, Element oder Optiopay, Getsurance, Flexperto und Cyberdirekt sprechen für sich. Spannend und völlig offen ist dagegen das Rennen um die digitalen Hubs, also die Metropolregion, die die größten Anstrengungen zur Ansiedlung und Befeuerung von Insurtechs und digitalem Ökosystem unternehmen. Waren es zu Beginn des Jahres neben Berlin noch Hamburg, Leipzig, Frankfurt, Nürnberg, Köln und München, so haben gerade die beiden letztgenannten in 2017 gehörig aufgerüstet.
Das von Alt-Ergo-Chef Torsten Oletzky konsequent entwickelte Kölner InsurLab Germany konkurriert dabei mit dem im Münchener Werk1 beheimateten InsurTech Hub Munich. MunichRe-Digital-Chef Tom van den Brulle zieht hier hinter den Kulissen konsequent die notwendigen Fäden. 2018 wird zeigen, ob es ein Wettrennen oder eine friedliche Koexistenz werden wird.
Die Neuen auf dem Markt
Ein zweiter, deutlich erkennbarer Trend ist der Markteintritt verschiedener digitaler Versicherer. Murmelte man vor zwei Jahren noch hinter vorgehaltener Hand „Ottonova traut sich wirklich“, so haben wir heute bereits eine ganz beachtliche Zahl an Risikoträgern mit beantragter oder bereits erhaltener Bafin-Lizenz: Ottonova und Karlsson im Krankenversicherungsbereich, One, Flypper, Coya und Element im Retail-Segment oder Nexible und Friday als KFZ-Versicherer. Und weitere Start-ups lauern hinter den Kulissen, um diese Gruppe zu ergänzen.
Der Schwung und die zunehmende Zahl an digitalen Versicherern spricht für den fruchtbaren digitalen Boden, auf dem wir uns gerade bewegen. Da die hohen Kundenakquisitionskosten den Anbündelungsdruck bei relativ vergleichbaren Geschäftsmodellen massiv erhöhen, wird die spannende Frage sein, wie die digitalen Versicherer langfristige Kundenbindung erreichen wollen. Der Trend zum Cocooning, also der Rundum-Versorgung einer Zielgruppe mit allen für sie relevanten Themen und dadurch erzielter Bindungswirkung, könnte unter diesem Aspekt interessant werden.
And the winner is…
Die eigentlichen Gewinner des Jahres 2017 sind für mich die Enabler, die digitalen „Handwerker“: Start-ups, die weder als digitale Makler noch als Risikoträger fungieren, sondern sich mit ihren Aktivitäten auf die digitale Verbesserung der Wertschöpfungsketten der Versicherer konzentrieren. Ob Kasko, Digital Fineprint, Friss, Tractable oder collect.AI – sie alle helfen der Old Economy, ihre Prozesse zu verschlanken und durch Digitalisierung der einzelnen Bausteine der Wertschöpfungskette effizienter, kostengünstiger und wettbewerbsfähiger zu werden.
Nicht jeder traditionelle Versicherer wird ein Innovationslabor aufbauen oder sich an einem Insurtech beteiligen wollen. Aber die Digitalisierung der eigenen Wertschöpfungskette ist eine Pflichtaufgabe, an der kein Versicherer vorbeigehen darf, wenn er seine Wettbewerbsposition halten will.
Was kommt in 2018?
Man muss kein Prophet sein, um mit Blick auf das nahende Jahr das Thema Blockchain mit Interesse zu beobachten. Auch wenn die langen Transaktionszeiten im Moment noch eine Nutzung im Frequenzbereich verhindern, wird sich dies rasch ändern und multiple Einsatzmöglichkeiten beim Big-Data-Management eröffnen. Interessant auch die jüngst zu beobachtenden Entwicklungen im Gesundheitsmanagement: Ob SkinVision, mediktor, Dacadoo oder Allm Shaping Healthcare – alle zeigen das große Interesse an Entwicklungen in diesem Bereich.
Eines bleibt in jedem Fall klar: Die Dynamik und Entwicklungsgeschwindigkeit der digitalen Versicherungswelt hat gerade erst begonnen.
Mehr zu den wichtigsten Fin- und Insurtech-Standorten lesen Sie auch in unseren Städte-Porträts im Rahmen der Fintech-Übersicht für Deutschland.
Autor
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Der gebürtige Berliner studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Berlin, Heidelberg und Barcelona, bevor er im Staatsrecht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg promovierte. In den letzten Jahren war er in verschiedenen Management- und Vorstandspositionen mit den Schwerpunkten Vertrieb, Komposit und Digital tätig. Von 2016 bis 2019 baute Dr. Finkelnburg an der Frankfurter Goethe Business School als Akademischer Direktor den Bereich Versicherungen mit Schwerpunkt Digitalisierung auf. Seit 2019 ist er Mitglied des Vorstandes der BGV-Versicherung AG.