Technologie, Wettbewerb und Kundenverhalten haben sich so dramatisch geändert, dass die Banken die Weichen auf Innovation stellen müssen. Da reicht es nicht, ein paar ausgewählte Mitarbeiter mal auf Fintech-Safari zu schicken, Club Mate in den Kühlschrank zu stellen, sich ab sofort zu duzen, die Krawatten weg zu lassen und – meist vom Rest der Bank isolierte – Stabspositionen wie „Head of Innovation“ oder „Chief Digital Officer“ zu schaffen.
Denn diese Verantwortung auf nur wenige Schultern zu delegieren, kann nicht funktionieren. Innovation muss das Interesse und die Kernkompetenz der ganzen Bank sein, nicht bloß die einer einzelnen Abteilung – oder gar eines einzelnen Mitarbeiters. Ohne breite Unterstützung im Unternehmen führt der einen Kampf gegen Windmühlen bzw. gegen „Das brauchen unsere Kunden nicht“ und „Das haben wir schon immer so gemacht“. Stattdessen müssen alle Mitarbeiter die Themen „Innovation“ und „Digitalisierung“ als Chance und nicht – wie aktuell – als Bedrohung empfinden und die Bank zukünftig viel mehr als Technologieunternehmen verstehen.
Innovationskultur ist eine Einstellung
Ausgehen muss dieser so dringend notwendige Verständniswandel, der Wandel in den Köpfen, direkt vom Vorstand. Allerdings nicht par ordre du mufti. Innovationskultur kann nicht befohlen oder verschrieben werden. Innovationskultur ist eine Einstellung, eine Überzeugung in der Belegschaft und die lässt sich nur über die Zeit entwickeln.
Dazu muss der Vorstand den unbedingten Willen demonstrieren, die Mitarbeiter für das Banking 4.0 motivieren und begeistern zu wollen – ganz getreu de Saint-Exupéry: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Das fängt schon bei der Kommunikation an: So sollten Vorstände alle Mitarbeiter über die neuen Möglichkeiten informieren, ihre strategische Vision offen und nachvollziehbar kommunizieren und sich weniger für die erreichten, aktuell ja meist noch zufriedenstellenden Ergebnisse feiern lassen – sondern bei jeder Verkündung der Zahlen darauf hinweisen, welche (noch größeren) Erfolge sie sich von den mittelfristig angestrebten neuen Geschäftsmodellen versprechen. Wie sonst soll bei den Mitarbeitern die angestrebte Sehnsucht aufkommen?
Alle müssen an einem Strang ziehen
Auch müssten Vorstände die Neigung ablegen, alles entscheiden und jede operative Kleinigkeit kontrollieren zu wollen. Stattdessen sollten sie den Fokus ganz auf Innovation und Strategie richten und dabei stets ein offenes Ohr für Anregungen und Ideen aller Mitarbeiter haben. Sie müssen allen in der Bank das Gefühl vermitteln: Querdenken, Mut, gute Ideen und neues Denken sind erwünscht. Gefördert werden sollte es mit zeitlichen Freiräumen und mit ehrlicher Anerkennung – selbst wenn sich viele Ideen als nicht tragfähig oder umsetzbar erweisen. Denn viel hilft viel: Je mehr Ideen eingereicht werden, desto mehr vielversprechende werden dabei sein.
Erfolgreich umgesetzt werden können die daraus abgeleiteten Initiativen nur dann, wenn erneut alle mitmachen. Also wenn Compliance, Recht und Revision im Neuprodukteprozess nicht nur Probleme sehen, sondern gleich alternative Lösungswege aufzeigen, wenn Kundenberater den Mut haben, ihren Kunden die neuen Lösungen anzubieten und wenn Führungskräfte bereit sind, unternehmerische Risiken zu verantworten – auch wenn es bis zum ersehnten Ruhestand nur noch wenige Jahre sind.
Aktuell ist das alles eher selten zu beobachten, weil die Managementkultur in den meisten Banken auf Fehlervermeidung ausgerichtet ist. Stattdessen sollte das Leid des Scheiterns explizit als Bestandteil eines kreativen Prozesses gesehen und aus Fehlern gelernt werden. Zudem braucht es die Bereitschaft, den ursprünglichen Plan immer wieder neu auszurichten und ein Produkt zunächst nur mit den nötigsten Funktionen zu veröffentlichen, um schnell ein erstes Feedback des Kunden einzuholen.
Ohne diesen Führungs- und Kulturwandel und ohne „digitales Onboarding“ der Mitarbeiter, werden Innovationskraft und -bereitschaft der Banken dramatisch gering bleiben und die meisten der bisher vor allem technologisch voran getriebenen Transformationsprojekte an internen Widerständen und Ängsten scheitern.
Autor
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Friedrich-W. Kersting befasst sich seit 2012 mit dem Thema Fintech, zunächst theoretisch als Professor an einer privaten Hochschule, dann operativ bei einem Banken-Start-up und aktuell bei einer Schweizer Großbank. Zuvor war der an der Hochschule St. Gallen promovierte Kersting zehn Jahre im Private Banking in Deutschland und der Schweiz tätig.