Unter der Dusche, so heißt es, hat man die besten Einfälle. Ich jedenfalls fand meine Gedanken so interessant, dass ich sie in der heutigen Kolumne mit Ihnen teilen möchte. Angefangen hatte es mit Werbung in meiner Twitter-Timeline. Die ist meistens belanglos oder störend – oder gleich beides zusammen. Dieses Mal aber ging es um einen ICO für eine Kreditkarte, mit der man Kryptowährungen smart ausgeben kann.
Die Anzeige machte mich neugierig und ich wollte gern ein bisschen Spielgeld investieren. Da auch die Blockchain kein rechtsfreier Ort (mehr) ist, gehört zu einem Token Sale mittlerweile auch immer der sogenannte KYC-Prozess (Know your Customer). Dafür sollte ich eine Kopie meines Personalausweises auf den Server des Start-ups hochladen. Beim Savedroid-ICO war mir das egal, immerhin handelt es sich dabei um ein deutsches Unternehmen, dessen Gründer ich sogar persönlich kenne und dessen Produkt ich begeistert nutze.

Digitale Identitätsdienste für eine digitale Welt
Hier aber war es anders: ein Start-up von irgendwo, ein Team lauter unbekannter Namen. Und dem soll ich meinen Ausweis geben – und damit meine Identität? Irgendwas hielt mich ab. Schließlich kann man mit einer fremden Ausweiskopie eine Menge Schindluder treiben und deutlich mehr Schaden anrichten, als den Verlust von 100 Euro Spielgeld. Also ließ ich es sein.
Dabei hätte die Lösung so einfach sein können: mit einem digitalen Identitätsdienst meines Vertrauens. Dem würde ich meine Legitimationsdaten anvertrauen. Anschließend könnte er dann dem Start-up bestätigen, dass ich auch tatsächlich Tobias Baumgarten bin. Idealerweise auch tatsächlich nur genau das und nichts mehr. Per Tokenization, wie sie auch beim Mobile Payment zum Beispiel via Apple Pay zum Einsatz kommt.
Verimi und Yes sind dabei keine Hilfe
Was für ein Glück, dass in den letzten Monaten gleich mehrere Allianzen im deutschsprachigen Raum entsprechende Dienste angekündigt haben. Die Sparkassen wollen dafür mit dem Unternehmen Yes aus der Schweiz kooperieren. Hinter dem Konkurrenten Verimi stehen Konzerne wie die Allianz, Daimer Benz, Lufthansa und die Deutsche Bank. Dazu kommt mit Nect noch ein Start-up, das durch Accelerator-Programme einiger Versicherer gelaufen ist.
Aber: zu früh gefreut. Denn einerseits sind all diese Dienste bisher noch nicht live. Selbst wenn sie es wären, hätten sie mein Problem wohl nicht gelöst, weil sie – wie so oft – ein kleines, nationales Süppchen kochen. Dort, wo ich sie nutzen könnte, brauche ich sie also nicht. Und bei den ausländischen Firmen, denen ich misstraue, kommen Verimi und Yes gar nicht zum Einsatz.
Am Ende machen es die US-Riesen
Dazu kommt, dass sich all diese Anbieter in einem begrenzten Markt gegenseitig die Kunden wegnehmen. Die absehbare Folge: Kaum ein Unternehmen wird alle Anbieter unterstützen. Damit wird das Angebot für die Kunden unattraktiv, weil sie sich bei allen Anbietern registrieren müssten, darauf aber keine Lust haben. Und schon ist das Thema tot. Regelmäßigen Lesern des finletters werden gewisse Parallelen zu anderen Initiativen der deutschen Banken und Sparkassen in den Sinn kommen.
Was Kunden und Unternehmen gleichermaßen wollen, ist ein Anbieter, der von allen anerkannt wird. Womit wir bei GAFA wären: Google, Amazon, Facebook und Apple. Die US-Plattformriesen sind weltweit aktiv und genießen das Vertrauen von Wirtschaft und Gesellschaft, jedenfalls mehr oder weniger. Das Social Network Facebook bietet bereits jetzt einen Log-In-Dienst und kennt die persönlichen Daten seiner Nutzer. Warum nicht um einen Identitätsdienst erweitern? Ok, Datenkrake, ebenso wie Google.
Aber Apple? Dessen Kunden haben ein extrem hohes Markenvertrauen und mit Apple Pay war der Smartphone-Hersteller einer der Vorreiter in Sachen Tokenization. Einziger Nachteil: die (relativ gesehen) geringe Marktdurchdringung. Bleibt der Versandhaus-Riese Amazon. Der genießt bei seinen Kunden ebenfalls ein extrem hohen Vertrauen, kennt diese sehr genau und bietet bereits Finanzdienstleistungen an.
Die Moral von der Identität-Geschicht‘
Am Ende bleibt einmal mehr festzuhalten: Wir Deutschen haben es offensichtlich einfach nicht drauf. Da sind wir schon die selbsterklärte „führende Datenschutznation der Welt“ und bekommen es nicht auf die Reihe, einen international führenden Identitätsdienst aufzubauen. Weil wir zu klein denken, nicht auf Standards einigen und uns selbst nichts zutrauen. Schade!
Am eingangs erwähnten ICO habe ich mich übrigens nicht beteiligt. Die Sache war mir dann doch zu heikel. Ein etablierter Identitätsdienst hätte mir wirklich geholfen, aber auf den muss ich wohl noch lange warten – jedenfalls so lange, bis sich einer der US-Riesen mit dem Thema befasst…
Autor
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Tobias Baumgarten ist digitaler Banker, Blogger und Fintech-Experte. Er schreibt unter anderem auf aboutfintech.de über Fintech und hatte mal eine finletter-Kolumne.
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