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Abgebildet: Caro Beese. Foto: Dirk Bleicker, entstanden im Rahmen von #DigitalLeben

Eine Renaissance der Bancassurance?

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Schon viele haben ihn geträumt – den Traum der Bancassurance, einer Vereinigung von Bank- und Versicherungsdienstleistungen in einem echten Allfinanzkonzern. Schon viele sind mit dieser Idee gescheitert. In den Besprechungsräumen der Allianz hört man noch immer Mitarbeiter von den wilden Zeiten des Versuches der Integration der Dresdner Bank sprechen. Auf die Frage, weshalb letztlich aus der Elefantenhochzeit ein Milliardengrab wurde, entgegnen einem nicht selten pauschalisierte Vorwürfe gegenüber „den Bankern“. Eine ähnliche Antwort erhält man, wenn man „DreBa“-Veteranen befragt. Dann rollen manchmal die Augen und Geschichten über „die Versicherungsleute“ machen die Runde. Es wäre jedoch zu einfach, das Scheitern des Bancassurance-Traumes der Allianz alleine auf kulturelle Unterschiede der beteiligten Belegschaften zu beschränken. Sicherlich spielten Managementfehler und auch wenig realisierte Synergien eine große Rolle.

Robin Kiera
Dr. Robin Kiera, Chief Product Officer bei der W&Z GmbH – einem Unternehmen der Warburgbank Gruppe. Speaker, Autor und Founder von Digitalscouting.de

Kooperationen scheitern

Andere Akteure scheuen sich vor dem Kauf und Integration eines Partners. Sie versuchen sich in Kooperationen – beispielsweise die Hamburger Sparkasse mit der HanseMerkur oder HDI. So sehr diese Kooperationen Umsatzströme aus dem Ausschließlichkeits- und Maklervertrieb ergänzen, sie haben es in den wenigsten Fällen geschafft, zu entscheidenden Vertriebskanälen zu werden. Auch hier hört man häufig, dass sich die Banker sträuben, Versicherungsprodukte beim Kunden anzusprechen, und Versicherungsvertreter selten im Bankwesen beheimatete Finanzprodukte verkaufen. Hat sich Bancassurance – allem intellektuellen Reiz zum Trotz – als ein gescheitertes Konzept erwiesen?

Manager vs. Kunden

Dieser Frage kann man mit einem klaren „Jein“ beantworten. Von oben verordnet haben diese Projekte nicht funktioniert. Allerdings hat die Expansion des Internets eine Veränderung des Kauf- und Konsumverhaltens vieler Kundensegmente bewirkt. Heute verlangen viele Kunden, unmittelbare Services in Echtzeit, hohe Transparenz und Vergleichbarkeit. Hierfür sind fast alle Kundensegmente bereit, ihr Geld für andere Produkte anderer Unternehmen auszugeben, wenn ihnen dies nicht geboten wird.

Dies haben ganze Industrien zu spüren bekommen. Denn wer hier nicht entsprechend reagierte, konnte sich hinter Kodak, Nokia, Quelle und vielen anderen in die Reihe prominenter Niedergänge einreihen. Unternehmen andererseits, die sich das gewandelte Kundenverhalten zu Nutze machten oder es aktiv förderten, wie Apple, Google, Facebook, Amazon, Tencent und Alibaba sind heute die wertvollsten Marken der Welt.

Erste Integration von Bank- und Versicherungsleistungen

Erste Akteure positionieren sich. Schon heute bieten Start-ups Übersichten über Cash-Konten und vollautomatisch ausgelesene und erstellte Vertragsübersichten unter anderem von Versicherungen an. Ein Algorithmus im Hintergrund analysiert die Finanzsituation und schlägt Optimierungen vor. Dies geschieht innerhalb weniger Sekunden und auch außerhalb der Geschäftszeiten von Hausbank und Versicherungsagentur.

Neben diesen klassischen Funktionalitäten bietet neue Technologie die Möglichkeit, auch bisher lediglich einem beschränkten Personenkreis zugängliche Services, einer breiteren Kundenbasis zur Verfügung zu stellen oder völlig Neues zu entwickeln. So warnt bei grundlegenden oder sich abzeichnenden Veränderungen – etwa von Aktieneinzelwerten, Portfolios oder Risikokennziffern – ein von künstlicher Intelligenz getriebener Automatismus den Kunden in Echtzeit. Es wäre nicht undenkbar, dass auch die Reaktion automatisiert erfolgt. Ebenso ist eine vollautomatische Anpassung von Versicherungsschutz denkbar. Wäre es nicht herrlich, nicht mehr in seinen Papierordnern kramen zu müssen, sondern dies mit Hilfe von AI erledigt?

Es scheint, dass der Bancassurance-Traum wiederauflebt. Nur diesmal stehen dieser Vision keine Unternehmenskultur und skeptischen Mitarbeiter entgegen. Denn der Versicherungsalgorithmus hegt keine Vorurteile gegen den Bankalgorithmus. Auch müssen keine Legacy-Systeme migriert werden. Über API-Schnittstellen und Screen-Scraping können auf der grünen Wiese geschaffene, ohne infrastrukturelle Altsysteme belastete Einheiten durchstarten. Kein Wunder, dass die Allianz groß bei N26 einstieg, Clark mit der ING-Diba oder Friendsurance mit der Deutschen Bank kooperieren.

Endzeitstimmung oder Aufbruch?

Neue Technologien und verändertes Kundenverhalten ermöglichen eine Integration von Versicherungs- und Bankprodukten und -Services – unabhängig von kulturellen Befindlichkeiten und historisch gewachsenen Strukturen. Allerdings muss die Renaissance der Bancassurance nicht die Endzeit etablierter Player einläuten, sondern kann einen Aufbruch ankündigen.

Nach dem Aufbau umfassender Allfinanzkonzerne könnten diese auch in andere Industrien vordringen, ihr tiefes Kundenwissen nutzen und ihrer Zielgruppe Produkte und Services anbieten, die heute noch mit anderen Marken identifiziert werden. Was spricht dagegen, dass neue, von Technologie getriebene Bancassurance-Allfinanzunternehmen zum täglichen Begleiter ihrer Kunden bei allen Fragen zu Assets, Absicherung und weiteren Lebensfragen werden – beispielsweise als ständiger Begleiter im Handy in der Hosentasche oder als Skill im Voice-Device im Wohnzimmer?

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